Vorweg, was wir hier nicht meinen: linke, progressive Menschen, die im aktuellen regressiven Klima ihren Job verlieren (wie z.B. linke Journalist*innen) oder die Forderung nach Konsequenzen für Personen der Öffentlichkeit (z.B. Luke Mockridge) nach Bekanntwerden von Vorwürfen sexualisierter Gewalt. Auch nicht die berechtigten Forderungen nach sicheren Räumen vor sexualisierter/männlicher Gewalt.
Wir beschränken uns mit unserer Kritik auf einen autoritären Umgang in der linken Szene mit Fehlern, anderen Meinungen, abweichendem Verhalten und Forderungen nach Selbstgeißelungen und Sanktionen.
Was meinen wir, wenn wir über Cancel Culture schreiben?
- Den Reflex, andere Meinungen und politische Haltungen innerhalb der Linken nicht aushalten zu können und zu versuchen, diese vom Diskurs auszuschließen.
- Den Reflex, sich nur noch mit Leuten zusammen zu tun, die die eigene Meinung vertreten, und sich nicht mehr auf Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten einzulassen.
- Anstatt in Diskussion miteinander zu treten, moralische Argumente zu vertreten und somit Diskussionen zu verunmöglichen.
- Schlussendlich auch andere Meinungen und politische Haltungen abstrafen zu wollen.
- Eine Straflogik zu vertreten für Personen mit abweichender Meinung, die noch härter ist als die Straflogik des staatlichen Systems.
Grundlage dafür ist die Unfähigkeit, andere Argumente als solche anzuerkennen, und eine grundsätzlich selbstgerechte und moralisierende Sichtweise auf politische Positionen. Zudem wird oft der „anderen Seite” die Fähigkeit abgesprochen, den schwerwiegenden Inhalt des Themas überhaupt zu begreifen und die Wichtigkeit zu erkennen. Auch scheint in Teilen der linken und feministischen Bubble der Glaube zu herrschen, dass es für eine Problematik nur eine „richtige” Ansicht oder Lösung geben kann. Dieses Denken basiert auf einer Vereinfachung von komplexen Zusammenhängen und besorgniserregendem Schwarz-Weiß-Denken. Hinzu kommt das Missverständnis, Konflikte per se als kontraproduktiv oder gewaltvoll zu verstehen. Es scheint geradezu eine Angst vor anderen Meinungen und Streit zu herrschen.
Cancel Culture beschreibt einen Umgang miteinander, der verletzend, undifferenziert und unsolidarisch ist. Zum Teil wird die “gegnerische” Seite entmenschlicht und ihr jegliche emanzipatorische Bestrebung abgesprochen. Scheinbar kleine Streitigkeiten werden kollektiv verhandelt und so zum Politikum erhoben.
Diese Konflikte und Diskurse sind keine Gewalt! Andere Linke zu „canceln“ wird nicht dazu führen, dass wir in einer gerechteren und emanzipatorischen Welt leben. Es führt nur dazu, immer mehr in Bubbles abzutauchen und vor der Realität zu fliehen